Kapitel 4

„Hey, wach doch auf!“

Jemand stupste unsanft gegen Fuchspfotes Schulter.  Sie blinzelte schläfrig und erkannte Fischpfote, die sie energisch auf die Pfoten schubste.

„Komm, Rabenschweif wartet schon auf dich!“ drängte sie sie. Mühsam versuchte Fuchspfote, ihre Gedanken zu ordnen, als ihr plötzlich das Gespräch mit Rabenschweif und Maulbeerpfote wieder einfiel. Sofort war sie hellwach und schüttelte sich entschlossen die Müdigkeit aus dem Pelz.

„Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast.“ rief sie über die Schulter zu Fischpfote zurück, während sie bereits zu ihrer Mentorin hinüberrannte.

Rabenschweif begrüßte sie mit einem Schwanzzucken und führte sie aus dem Lager. Fuchspfote trabte schweigend neben ihr her, bis sie am Ufer des Flusses haltmachten. Neugierig blickte sie auf. „Und was machen wir jetzt?“ fragte sie.

Rabenschweifs hellgrüne Augen funkelten schelmisch.

„Ich dachte“, sagte sie, „Solange wir noch FlussClan-Katzen sind, können wir uns auch wie welche benehmen! Heute zeige ich dir, wie man Fische fängt.“

Auf ein Zeichen der Kriegerin trat Fuchspfote etwas zur Seite und sah zu, wie sie sich ins feuchte Moos kauerte und übers Wasser beugte. Rabenschweif hob die Pfote und verharrte regungslos, bis sie sie plötzlich mit einer anmutigen Bewegung herabstoßen lies und einen Fisch ins Gras schleuderte. Einen Herzschlag später hatte sie die Beute schon mit einem Schlag getötet und scharrte etwas von dem weichen Uferschlamm darüber.

Fuchspfote staunte, wie anders diese neue Jagdtechnik im Vergleich mit den übrigen war. Hier würde ihr ihre Nase nicht viel nützen und auch die Bewegung ihrer Pfoten auf dem Boden spielte keine Rolle. Worauf muss ich dann achten? Fragte sie sich. Es sieht so leicht aus!

Doch als sie schließlich selbst ans Ufer trat, merkte sie schnell, dass sie mit ihren Gedanken vorschnell gewesen war. Sie beugte sich vor, doch gerade als sie den ersten Fisch entdeckte, fiel ihr Schatten aufs Wasser und das Tier war blitzschnell wieder verschwunden.

Die Enttäuschung musste ihr anzusehen gewesen sein, denn Rabenschweif strich ihr tröstend mit dem Schwanz über die Flanke. „Mach dir nichts draus.“ sagte sie, „Du musst dich ganz still verhalten, damit dich deine Beute nicht bemerkt. Und wenn du den Fisch herausgeholt hast, darfst du nicht zögern, sonst entschlüpft er dir sofort wieder.“

Fuchspfote nickte ihr dankbar zu und verfiel wieder in Jagdhaltung. Sie musste nicht lange warten, bis sie unter sich ein silbergrau geschupptes Exemplar ausmachte. Mit ausgefahrenen Krallen packte sie den Fisch und warf ihn ans Ufer. Nun versuchte sie, ihn mit den Zähnen zu packen, aber es schien unmöglich, ihn zu erwischen. In wilden Zuckungen hüpfte er über den Boden und versuchte, sich ins Wasser zu retten. Fuchspfote versuchte es mit den Pfoten, aber auch das wollte ihr nicht gelingen. Immer wenn sie dachte, sie hätte es endlich geschafft, gruben sich ihre Klauen nur in feuchtes Gras. Sie fauchte wütend und fast wäre ihr der Fisch wieder ins Wasser gefallen, als im letzten Moment Rabenschweif an ihre Seite sprang und ihn mit einer geschickten Bewegung zur Ruhe brachte.

„Das war schon sehr gut für deinen zweiten Versuch!“ miaute die schwarze Kriegerin freundlich. „Komm hier herüber, ich zeige es dir noch einmal.“ 

 

„Rabenschweif! Fuchspfote!“ Erstaunt sah Fuchspfote Maulbeerpfote an, die ihnen völlig außer Atem vom Lager entgegengerannt kam. Mit fragendendem Blick wandte sie sich Rabenschweif zu, die aber nur den Kopf schüttelte und mit schnellen Sätzen zu der Heilerschülerin hin sprang. Sie wirkte besorgt und Fuchspfote fragte sich, ob es wohl etwas mit der bevorstehenden Reise zu tun hatte. Eilig bemühte sie sich, ihre Mentorin einzuholen.

„Hallo Maulbeerpfote!“ sagte Rabenschweif gerade, „Was ist passiert?“

Die Schülerin blickte aufgeregt von Rabenschweif zu Fuchspfote. „Leopardenstern! Sie wird noch Sonnenhoch zum Mondsee aufbrechen! Ich habe es eben erst erfahren; Mottenflügel hat nichts gesagt und jetzt gerade bereitet sie Kräuselpfote auf die Reise vor! Wir müssen uns beeilen, wenn wir es rechtzeitig schaffen wollen!

 

„Fuchspfote!“ Leopardensterns Stimme ließ Fuchspfote herumfahren. „Was gibt es?“ fragte die Schülerin, während sie respektvoll den Kopf senkte. Die Anführerin musterte sie kurz und miaute schließlich: „Es geht um meine Reise zum Mondsee.“ Fuchspfotes Pelz kribbelte vor Aufregung. Also hat Maulbeerpfotes Plan Funktioniert! Sie bemühte sich ruhig und überrascht zu wirken, als Leopardenstern fortfuhr: „Wie du sicher weißt, sollte Kräuselpfote mich auf dieser Reise begleiten, doch unglücklicher Weise, ist er erkrankt. Mottenflügel meint es wäre nichts Schlimmes, doch sie besteht darauf, ihn heute Nacht im Lager zu behalten. Deshalb wirst du mich begleiten. Geh zu Mottenflügel, sie wird dir die Reisekräuter geben:“ „Es ist mir eine Ehre.“ miaute Fuchspfote. Dann lief sie zum Heilerbau.

Als sie eintrat blickte Mottenflügel auf. „Ah, Fuchspfote! Ich habe die Kräuter schon vorbereitet.“ Sie wies mit dem Schwanz auf ein kleines Häufchen von Pflanzen, die einen würzigen Geruch. verströmten. „Iss sie auf, sie werden gegen den Hunger helfen. Denn das Gesetz der Krieger verlangt, dass Katzen vor einer solchen Reise nichts zu sich nehmen. Kräuselpfote, bitte sei so nett und pass auf, dass nichts übrig bleibt, während ich nochmal nach den Ältesten sehe. Die jungen Katzen haben noch jedes Mal versucht, die Blätter zwischen der Mäusegalle zu verstecken.“ Die Heilerin verschwand nach draußen und Fuchspfotes Blick fiel auf den grauen Schüler, der sich in einer dunklen Ecke zusammengerollt hatte.

Kraftlos blinzelte Kräuselpfote zu ihr hinüber, und sie war nicht sicher, ob es an Maulbeerpfotes Kräutern oder an der großen Enttäuschung über die verlorene Reise zum Mondsee lag.

Die Scham lastete schwer auf Fuchspfotes Schultern und klebte an ihrem Fell wie Klumpen von altem Harz. „Es tut mir so leid, Kräuselpfote!“ flüsterte sie. „Ich wollte dir das nicht wegnehmen. Das sollte dein Erlebnis werden, nicht meins.“ Mit gesenktem Kopf und ohne eine Antwort abzuwarten, würgte sie die Reisekräuter hinunter und stürzte ins Freie.

Ein kühler Wind wehte ihr entgegen und sie sog gierig die Luft ein. Langsam beruhigten sich ihre aufgewühlten Gedanken und sie zwang sich, wieder an ihre Aufgabe zu denken. Sie versuchte, einen möglichst fröhlichen Eindruck zu machen, als sie an die Seite ihrer Anführerin trat, die schon auf sie wartete.

Da entdeckte sie in der Nähe des Frischbeutehaufens Rabenschweif, die ihr aufmunternd zuzwinkerte. Der Anblick ihrer Mentorin machte ihr Mut, und mit neuer Energie wandte sie sich wieder Leopardenstern zu. „Ich bin bereit.“ sagte sie. Leopardenstern nickte knapp. „Gut. Dann lass uns aufbrechen! Wir haben schon zu viel Zeit verloren und ich will noch vor Anbruch der Nacht den Mondsee erreichen.“ Mit dem Kopf nickte sie zu einem braungestreiften Kater, der in der Nähe stand. „Feldzahn begleitet uns. Kommt jetzt!“ Dann setzte sie sich in Bewegung und rannte auf geschmeidigen Pfoten aus dem Lager.

Während sie in Richtung Pferdeort trabten, miaute die Anführerin mit einem Mal: Rabenschweif sagte mir, dass du eine fleißige Schülerin bist. Starke Katzen kann der FlussClan immer gut gebrauchen!“

Fuchspfote war überrascht über dieses unerwartete Lob. Sie freute sich, dass ihre Mentorin eine so hohe Meinung von ihr hatte, aber gleichzeitig lösten Leopardensterns Worte erneut ein schlechtes Gewissen bei ihr aus, da sie doch den FlussClan bald verlassen würde.

Ob Leopardenstern wohl etwas davon ahnte und sie nur auf die Probe stellen wollte?

Sie beschloss, vorsichtig zu sein und antwortete: „Rabenschweif ist eine tolle Mentorin. Ich lerne viel von ihr.“ Fuchspfote fühlte sich unwohl bei diesem Gespräch und war erleichtert, als Leopardenstern schwieg.

Nach und nach kehrte schließlich Fuchspfotes Aufregung zurück. Sie würde Mondsee sehen, noch an diesem Abend! Ihr fielen die Erzählungen der Ältesten wieder ein, von deren eigenen Reisen, die sie zu den Hochfelsen beim alten Zuhause der Clans geführt hatten. Dort hielten sie Wache, während der Anführer in einer Höhle, tief in der Erde...

Plötzlich durchzuckte ein neuer Gedanke Fuchspfote und beinahe wäre sie über ihre eigenen Pfoten gestolpert: Keiner der Ältesten hatte den Mondstein je selbst gesehen! Was, wenn Feldzahn und sie auf irgendeinem Hügel warten müssten und Leopardenstern den Rest des Weges allein gehen würde? Und wie sollte sie überhaupt dem Mondsee nähern, wenn der Krieger die ganze Zeit dabei war?

Einen Moment lang wurde sie von Panik ergriffen, dann erinnerte sie sich, dass es Maulbeerpfote gewesen war, die den Vorschlag zu dieser Reise gemacht hatte. Bestimmt hatte sie gewusst, dass es keine Probleme geben würde.

Aber vielleicht hat sie nicht an Feldzahn gedacht!

Fuchspfote verbot sich, länger darüber nachzugrübeln. Sie hatte ohnehin schon genug Sorgen, dass es den SternenClan erzürnen könnte, wenn sie versuchte, auf diese Weise Kontakt aufzunehmen. Doch sie durfte Rabenschweif auf keinen Fall enttäuschen. Sonst will sie mich bestimmt nicht mehr mitnehmen...

 

Als sie einen schmalen Bach erreichten, verlangsamte Leopardenstern ihr Tempo. Das WindClan-Territorium lag nun hinter ihnen und Fuchspfotes Pfoten schmerzten vom langen Laufen. Ihr Fell kribbelte vor Aufregung, als ihr klar wurde, dass es jetzt nicht mehr weit sein konnte. Es war eine Mischung aus Freude und Angst, ein sehr seltsames Gefühl. Erleichtert sah sie, dass die Anführerin jedoch nichts bemerkt zu haben schien.

Sie folgten dem Bachlauf, bis die gefleckte Kätzin plötzlich stehen blieb. Vor ihnen erstreckte sich ein kleines Tal, an dessen äußerem Ende sich eine mit Moos und Farn überwucherte Felswand befand, aus der in halber Höhe eine Quelle plätscherte. In einem See, viel kleiner als der, der die vier Territorien verband, traf der Bach auf das feucht glitzernde Gestein.

Es war der schönste Ort den Fuchspfote jemals gesehen hatte. Er schien die Erinnerungen aller Katzen zu vereinen, deren Pfoten sie einst hierhergetragen hatten.

Fuchspfote war völlig versunken in den Anblick, sodass erst Feldzahns leise Stimme sie aus ihrer Träumerei riss: „Willst du jetzt mit dem SternenClan sprechen, Leopardenstern?“

Die Anführerin des FlussClans hob den Kopf; ihre Augen funkelten im Abendlicht. „Wir warten auf die Sterne.“

Fuchspfotes ganzer Körper stand unter nervöser Anspannung. Leopardenstern lag reglos am Ufer des Sees und sie konzentrierte sich mit all ihren Sinnen auf Feldzahn.

Komm schon! flehte sie stumm, Schlaf doch ein!

Der Krieger hatte sich im Gras ausgestreckt und döste vor sich hin. Doch irgendwann wurden Fuchspfotes Bitten endlich erhört. Unendlich erleichtert sandte sie einen kurzen Dank zum SternenClan und schlich auf leisen Pfoten ans Wasser. Doch als sie schließlich so dastand, keimten wieder die Zweifel in ihr auf. Sie war sich sicher, dass Schüler eigentlich niemals von diesem See trinken dürften. Aber sie musste doch mit dem SternenClan reden!

„Helft mir!“ flüsterte sie verzweifelt, „Blitz, Mond! Was soll ich tun?“ Hoffnungsvoll blickte sie sich auf der sternenfunkelnden Lichtung um, aber nichts hatte sich verändert. Enttäuschung sickerte in ihr Fell, bis sich plötzlich ihr Spiegelbild im Wasser kräuselte, obwohl es vollkommen windstill war. Für einen kurzen Augenblick sah sie dort das Gesicht einer schönen schildpattfarbenen Kätzin mit grünen Augen. Fuchspfotes Augen weiteten sich, als Blitz ihr kaum merklich zunickte.

Einen Herzschlag später war die Erscheinung bereits vorüber, aber sie hatte Fuchspfote Mut gemacht. Mit neuer Entschlossenheit beugte sie sich vor und leckte einige Tropfen der kühlen Flüssigkeit auf.

Kaum hatte ihre Zunge den See berührt, wurde sie von einer lähmenden Kälte erfüllt; Eis kroch durch ihre Glieder und Fuchspfote schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, erschrak sie: Sie befand sich immer noch am Mondsee, aber Leopardenstern und Feldzahn waren verschwunden! Es hat nicht geklappt, dachte sie. Die älteren Katzen hatten sie bestimmt bei ihrer kläglichen Aktion erwischt und waren ohne sie zurückgekehrt...

Verzweifelt suchte sie mit den Augen die Lichtung ab. Da entdeckte sie plötzlich einen riesigen fremden Kater mit hellem getigertem Fell. Wegen dem vertrauten Leuchten in seinem Pelz vermutete Fuchspfote, dass er zu ihren Kriegerahnen gehörte.

Das merkwürdigste war, dass er ihr bekannt vorkam und sie doch sicher war, ihn noch nie gesehen zu haben. Er trug den unverkennbaren Geruch einer FlussClan-Katze, was sie ein bisschen beruhigte. „Wer bist du?“ traute sie sich zu fragen.

„Sei gegrüßt.“ sagte der Fremde. „Mein Name ist Streifenstern und ich bin ein Krieger des SternenClans.“ Fuchspfote seufzte erleichtert. Dann war das also doch ein Traum!

„Vor vielen Monden war ich der Anführer des FlussClans.“ fuhr Streifenstern fort. „Und ich bin gekommen, um mit dir zu reden.“

„Heißt das, der SternenClan verzeiht mir dieses Eindringen?“ fragte Fuchspfote hoffnungsvoll.

„Ja. Wir denken, es war notwendig. Aber es ist trotzdem nicht richtig und ich erwarte, dass du dich mit diesem einen Gespräch begnügst!“ sagte der Kater mit strengem Blick. Sanfter  sprach er weiter: „Der SternenClan weiß von der Prophezeiung um eure Reise und ich bin sicher, du hast viele Fragen. Darum pass gut auf, was ich dir nun sage, Fuchspfote!“

Sie nickte und stellte aufmerksam die Ohren auf.

Da erhob Streifenstern erneut die Stimme:

„Dreimal noch geht die Sonne auf und unter, bis zwei Katzen den Wald für immer verlassen. Folgt dem Ruf eures Clans und er zeigt euch euren Weg, bis ihr bereit seid, ihn selber zu finden.“ Dann blinzelte der große Kater Fuchspfote noch einmal freundlich zu und lief dann mitten hinein in den sanft leuchtenden See, bis er im Wasser verschwunden war.

Ein letztes Mal noch hallte seine Stimme durch das Tal: „Viel Glück, kleine Schülerin.“

Kommentare

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!