Kapitel 5

„Leopardenstern ist wieder da!“

Rabenschweif blickte von ihrem Stück Frischbeute auf und sah, wie die Anführerin gerade zusammen mit Fuchspfote und Feldzahn im Lagereingang auftauchte. Sie musste sich stark zusammenreißen, um nicht sofort zu ihrer Schülerin zu laufen und sie mit Fragen zu bestürmen.

„Hallo Fuchspfote!“ rief sie ihr entgegen. Die Schülerin schien genauso aufgeregt zu sein wie sie selbst, obwohl sie von dem langen Weg schrecklich müde sein musste. Mit schweren Schritten tappte sie auf Rabenschweif zu, doch ihre Augen funkelten, als sie zu erzählen begann: „Rabenschweif! Stell dir vor, ich habe mit dem Ster…“ Schnell legte ihr Rabenschweif die Schwanzspitze aufs Maul und raunte ihr zu: „Nicht hier! Das wäre zu riskant!“
Verstohlen sah sie sich auf der Lichtung um, ob sie beobachtet wurden, und zog Fuchspfote in eine dunkle Ecke hinter dem Kriegerbau. „So.“ sagte sie mit gedämpfter Stimme. „Was ist passiert?“

„Ich habe mit den Kriegerahnen gesprochen! Wir waren am Mondsee und Leopardenstern hat geschlafen, aber Feldzahn war noch wach und dann… Oh, ich hatte eine solche Angst, dass der SternenClan uns bestraft, aber Streifenstern ist gekommen.“ sprudelte es aus der Schülerin heraus. Rabenschweif wischte ihr freundlich mit dem Schwanz über den Kopf und langsam beruhigte Fuchspfote sich. Dann holte sie tief Luft und berichtete Rabenschweif in allen Einzelheiten, was am Mondsee geschehen war.

„Das hast du sehr gut gemacht!“ schnurrte Rabenschweif, als Fuchspfote geendet hatte. „Dank dir haben wir jetzt alle Informationen, die wir brauchen.“

Fuchspfote war sichtlich stolz auf das Lob ihrer Mentorin und leckte sich verlegen die Pfoten.

Freundschaftlich stupste Rabenschweif sie mit der Nase an. „Du solltest jetzt schlafen gehen. Wenn ich Streifensterns Worte richtig verstanden habe, bleiben uns nur noch zwei Tage bis zu Aufbruch. Wir müssen also unsere Kräfte sammeln.“

Fuchspfote, die jetzt erst zu merken schien, wie müde sie eigentlich war, nickte nur und öffnete das Maul zu einem herzhaften Gähnen. Rabenschweif begleitete sie noch zum Bau der Schüler und sah, wie sie sich dort ins weiche Moos fallen ließ. Liebevoll blickte sie auf die fuchsrote Kätzin herab.

Den Schlaf hat sie sich redlich verdient! dachte Rabenschweif.

 

„Also, wenn die Sonne zum dritten Mal untergeht, zieht ihr los. Eine Nacht liegt schon hinter euch, das heißt, ihr habt noch diesen Tag und morgen Abend ist es so weit!“

Maulbeerpfotes Augen schimmerten wehmütig, aber ihre Stimme war fest. Rabenschweif presste kurz die Schnauze an ihre Wange und fragte dann: „Und was ist mit dem zweiten Teil? Wohin schickt uns der SternenClan?“ Die junge Heilerschülerin legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen. „Naja, “ begann sie, „Es hieß, »Folgt dem Ruf eures Clans«, nicht wahr? Euer Clan ist immer noch der FlussClan. Mit »Ruf« könnte der Name gemeint sein, also Fluss. Ich glaube, Streifenstern will, dass ihr dem Fluss folgt. Sein Lauf wird euch in Richtung eines neuen Territoriums führen.“ Erwartungsvoll schaute sie zu Rabenschweif auf. Sie wird einmal eine hervorragende Heilerin sein.

„Gut. Ich danke dir, Maulbeerpfote. Dann werde ich jetzt Fuchspfote Bescheid geben.“ Sie nickte ihrer Freundin noch einmal zu und eilte zu ihrer Schülerin, die mit den anderen Jungkatzen beim Frischbeutehaufen stand. Sie nahm sie für einen Moment beiseite, um ihr von Maulbeerpfotes Überlegungen zu erzählen und schickte sie dann zusammen mit Kräuselpfote, Fischpfote und deren Mentoren zum Training. Wenigstens einmal noch sollte Fuchspfote einfach einen ganz normalen Tag mit ihren Freunden verbringen.

Durch diese Reise nehme ich ihr so viel…

Nein! sagte sie sich. Sie hat sich entschieden. Sie durfte nicht länger über solche Dinge nachdenken. Um sich abzulenken gesellte sich Rabenschweif zu Schwalbenschweif, die etwas abseits eine Maus verzehrte. „Hallo.“ sagte sie möglichst ungezwungen. „Wie geht es dir, Schwalbenschweif?“ Die ältere Kätzin schluckte einen Bissen Fleisch hinunter und streckte sich zufrieden. „Mir geht es gut“ miaute sie. Mit einem Blick auf Fuchspfote fügte sie hinzu: „Du hast wirklich eine eifrige Schülerin. Anscheinend machst du deine Sache als Mentorin sehr gut!“ Verlegen senkte Rabenschweif den Kopf und erwiderte: „Ich bringe ihr alles bei, was ich von dir gelernt habe.“ Schwalbenschweif schnurrte und leckte Rabenschweif zwischen den Ohren, bevor sie sich umdrehte und davontrottete.

Ich werde sie sehr vermissen! dachte Rabenschweif. Sie seufzte und machte sich auf, sich der nächsten Patrouille anzuschließen.

 

Am nächsten Morgen erwachte sie kurz vor Sonnenaufgang. Sie weckte Fuchspfote und bat sie, im Lager zu bleiben, sich um die Ältesten zu kümmern und Maulbeerpfote bei ihren Heilerpflichten zu helfen.

„Vergiss nicht, du brauchst all deine Kraft, wenn wir heute Nacht unsere Reise antreten!“ schärfte sie ihr ein. Die Schülerin verdrehte die Augen. „Jaa, Rabenschweif. Und ich geh nochmal mit Maulbeerpfote alles durch, was wir besprochen haben.“
„Gut.“ seufzte Rabenschweif erleichtert. „Dann sehen wir uns später.“

Nachdem Fuchspfote im Bau der Ältesten verschwunden war, schlüpfte sie aus dem Lager, um ein letztes Mal in ihrem geliebten Territorium zu jagen. Sie streifte am Flussufer entlang und sog die vertrauten Gerüche ein. Alle Eindrücke kamen ihr mit einem Mal so viel intensiver vor; sie vermisste all die anderen Katzen schon jetzt, obwohl die Reise noch gar nicht begonnen hatte. Ohne Fuchspfote würde ich es nicht schaffen. Sie ist die Einzige, die mir bleibt…

Da gesellte sich plötzlich zum Duft ihrer Clangefährten ein weiterer, ganz leicht nur, aber doch unverkennbar. Blitz! Der Gedanke an ihre Eltern machte Rabenschweif neuen Mut und so gestärkt richtete sie erneut alle Sinne auf ihre Umgebung. Sie sog jede Kleinigkeit in sich auf, das Zwitschern der Vögel, das Plätschern des Wassers und das Gefühl von weichem Schlamm unter ihren Pfoten; alles was sie sehen, hören, fühlen, oder riechen konnte. Sie versuchte, so viel wie möglich festzuhalten, um sich immer an ihr Leben bei den Clans zu erinnern.

So verharrte sie eine Weile still und blickte auf den Fluss. Unter sich entdeckte sie einen Fisch, den sie mit flinken Pfoten erlegte. Als sie die Zähne hineinschlug, um ihm den Garaus zu machen, spürte sie, wie das zarte Fleisch zwischen ihren Kiefern nachgab und einen Moment lang wurde sie durchdrungen vom herrlichen Geschmack der frischen Beute.

Jeder Fisch, den ich in den kommenden Monden fange, wird für mich ein Stück Zuhause sein. dachte Rabenschweif.

So leise wie möglich schlich Rabenschweif aus dem Bau der Krieger ins Freie, wobei sie sorgsam darauf achtete, ihre schlafenden Clankameraden nicht zu wecken. Vorsichtig kroch sie durch das Gras und sah immer wieder besorgt zu dem Wachposten hinüber. Doch bis jetzt hatte er sie nicht bemerkt. Erleichtert atmete Rabenschweif auf, als sie endlich sicher im Schülerbau angekommen war. Dort fand sie Fuchspfote, die sich wie ausgemacht nahe am Eingang zusammengerollt hatte, damit die Beiden nicht zwischen den Schülern hindurchmussten. Trotzdem legte sie der Schülerin warnend die Schwanzspitze aufs Maul, bevor sie begann, sie leicht mit der Pfote anzustupsen, sodass sie schließlich blinzelnd die Augen aufschlug. Mit einer Kopfbewegung bedeutete Rabenschweif ihr, ihr zu folgen und gemeinsam huschten sie durch die Finsternis in Richtung Fluss.

Da der Himmel wolkenverhangen war, drang kaum Licht zwischen den Bäumen hindurch und ihre dunklen Pelze boten ihnen die bestmögliche Tarnung. Wie zwei Schatten tappten sie durch die Nacht, nur geführt von ihrem scharfen Geruchssinn.

Als sie weit genug vom Lager entfernt waren, setzten sie sich und Rabenschweif stieß ein leises Heulen aus. Sie vernahmen ein feines Rascheln und Maulbeerpfote trat aus dem Unterholz auf sie zu. Leise schnurrend begrüßten Rabenschweif und Fuchspfote sie Nase an Nase.

„Ich bin so froh, dass du da bist, Maulbeerpfote!“ sagte Rabenschweif und presste die Schnauze an ihr Fell. „Hast du die Reisekräuter dabei?“

„Natürlich.“ antwortete ihre Freundin und legte zwei kleine Bündel vor ihnen ab. „Iss alles auf, Fuchspfote!“ ermahnte sie die rote Schülerin. Fuchspfote nickte und nahm gehorsam ein Maul voll Kräuter, verzog aber sofort angewidert das Gesicht. Trotzdem schluckte sie alles tapfer herunter und spülte danach das Maul gründlich mir Flusswasser aus. Rabenschweif beeilte sich, es ihr nachzutun und verzehrte ihr eigenes Häufchen aus getrockneten Blättern. Anschließend wandte sie sich wieder Maulbeerpfote zu. „Vielen, vielen Dank!“ sagte sie und versuchte, all ihre Zuneigung und Freundschaft in diese Worte zu legen. „Du hast uns so geholfen! Und wenn morgen der Clan aufwacht, vergiss nicht, Leopardenstern meine Nachricht zu überbringen!“

„Ich werde es nicht vergessen.“ versprach die kleine Heilerin. „Aber beeilt euch jetzt, wenn ihr noch vor Tagesanbruch die Clan-Grenzen hinter euch lassen wollt!“ Leiser fügte sie hinzu: „Ich werde euch vermissen.“

„Wir werden dich auch vermissen.“ sagte Rabenschweif sanft. „Du wirst immer meine Freundin sein, Maulbeerpfote, ganz egal wo wir sind. Pass gut auf dich und den FlussClan auf!“

Zum letzten Mal gaben sich die Freundinnen die Zungen; dann drehte sie sich um und trat zu Fuchspfote ans Ufer des Flusses. Das Wasser würde ihren Geruch fortspülen und den Clan daran hindern, sie zurückzuholen. „Auf Wiedersehen!“ flüsterte Rabenschweif. Dann sprang sie geschmeidig in das sprudelnde Wasser. Fuchspfote folgte ihr und mit kraftvollen Bewegungen schwammen die beiden Katzen gegen die Strömung an den Fluss hinauf. Durch das Rauschen des Wassers hörte sie noch Maulbeerpfotes leise Stimme, als sie sagte: „Auf Wiedersehen, Rabenschweif.“

Schon weit lag ihr altes Territorium hinter ihnen, als sich die beiden Kätzinnen bei Tagesanbruch erschöpft ans Ufer zogen. Müde ließen sie sich ins Gras fallen und leckten sich das nasse Fell. So lange am Stück zu schwimmen war selbst für eine FlussClan-Katze beinahe zu anstrengend und Rabenschweif war froh, endlich wieder festen Boden unter den Pfoten zu haben. Umso stolzer war sie, wie klaglos Fuchspfote all das ertragen hatte. Langsam rappelte Rabenschweif sich hoch und stieß die Schülerin mit der Nase an.

„Ich gehe jagen.“ sagte sie zu ihr. „Du musst etwas essen und wir brauchen einen sicheren Platz, wo wir schlafen können. Warte hier, bis ich zurück bin.“ Fuchspfote schien protestieren zu wollen, doch als sie versuchte, ebenfalls aufzustehen, drückte Rabenschweif sie sanft zurück auf den Boden. „Ich beeile mich.“ sagte sie. Sie streckte sich kurz, um ihre verkrampften Muskeln etwas zu lockern und ließ ihre Schülerin allein.

Bald stieß sie zwischen den vielen Farnwedeln, die am Ufer wuchsen, auf eine dicke Maus, die sie trotz ihrer Müdigkeit schnell erlegte. Zu ihrer Freude gelang es ihr, auch noch ein zweites Tier zu fangen und mit der Frischbeute im Maul kehrte sie zufrieden zu Fuchspfote zurück. Gierig rissen die beiden große Stücke aus dem duftenden Fleisch und mit jeden Bissen fühlte Rabenschweif, wie nach und nach ihre Kräfte wiederkamen.

So gestärkt zogen sie weiter, immer am Fluss entlang, und hielten Ausschau nach einem Unterschlupf. Endlich fanden sie einen großen laubbedeckten Baum, dessen breite Äste ihnen wie eine freundliche Einladung erschienen. „Wir klettern da rauf.“ entschied Rabenschweif. „Geh du zuerst, Fuchspfote, dann kann ich dich notfalls von unten stützen!“ Fuchspfote gehorchte ohne zu Murren und zog sich den rauen Stamm hinauf. Es war kein idealer Schlafplatz, denn im Clan waren sie daran gewöhnt worden auf dem Boden zu schlafen, doch der Baum würde sie vor Regen und möglichen Angreifern schützen.

Oben suchten sie sich jede eine bequeme Astgabel und schlossen endlich völlig erschöpft die Augen. SternenClan sei Dank, dass wir es so weit geschafft haben! dachte Rabenschweif noch, bevor sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf glitt.

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