Kapitel 6

Fuchspfote erwachte in der frühen Abenddämmerung. Rabenschweif schlief noch und sie rollte sich enger zusammen, um selbst noch ein bisschen zu ruhen. Doch sie konnte einfach nicht wieder einschlafen. Denn jetzt, fernab des Clans und mit klareren Gedanken, fing sie an, sich Sorgen zu machen, ob sie überhaupt jemals eine Katze finden würden, die bereit war, sich ihnen anzuschließen und nach dem Gesetz der Krieger zu leben. „Ach, großer SternenClan, “ seufzte sie, „Werden wir je ans Ziel kommen?“ Unruhig starrte sie durch das Blätterdach an den dunkler werdenden Himmel. Nach und nach tauchten die ersten Sterne auf, als Fuchspfote plötzlich aus ihren Gedanken gerissen wurde.

Ein helles Licht blendete sie und einen Herzschlag später saß auf einem Ast ihr gegenüber eine schimmernde Katze und sah sie an. Blitz! durchzuckte es Fuchspfote.  „Ich grüße dich, Fuchspfote. Hab keine Angst, ich bin die Mutter von Rabenschweif. Ich werde euch helfen. Der SternenClan weiß, dass du dir Sorgen machst. Zwar können sie euch auf dieser Reise nicht begleiten, aber du sollst wissen, dass Mond und ich immer bei euch sein werden.“

Fuchspfote neigte den Kopf. „Dafür bin ich dir sehr dankbar.“ miaute sie. „Aber ich habe mich gefragt, ob ich wirklich das richtige getan habe.“ Unsicher schlug sie die Augen nieder.

Als sie antwortete, war Blitz‘ Stimme warm: „Fuchspfote. Du musst wissen, dass Rabenschweifs Schicksal schon vor vielen, vielen Monden entschieden worden ist. Und der SternenClan hat beschlossen, dass sie dabei nicht alleine sein wird. Diese Aufgabe war ihre Bestimmung, Fuchspfote. Und jetzt ist es auch deine. Benutze dein Herz, wenn du nach neuen Katzen suchst, und deine Mühe wird nicht vergebens sein.“

„Aber…“ erwiderte Fuchspfote zögerlich, „Was, wenn sich uns gar keine Katzen anschließen wollen?“

Blitz trat dicht an sie heran, sodass Fuchspfote ihren warmen, silbrigen Körper neben ihrem spüren konnte. „Hab keine Angst, junge Schülerin.“ miaute Blitz sanft, „Der SternenClan wird eure Pfoten leiten!“

 

Warme Sonnenstrahlen wärmten Fuchspfotes Fell. Blinzelnd schlug sie die Augen auf. Trotz des Morgenlichts schlief Rabenschweif noch, und sie beschloss, die Zeit mit einer gründlichen Fellpflege zu verbringen. Als sie sich mit der Zunge durch das rote Fell fuhr, brachen die Erinnerungen an die vergangene Nacht, wie ein eisiger Wasserfall über ihr ein. Ob sie Rabenschweif von Blitz´ Besuch erzählen sollte? Besser nicht, am Ende würde sich ihre Mentorin nur unnötige Sorgen machen. Ungeduldig trat die Schülerin von einer Pfote auf die andere. Wann wachte Rabenschweif denn endlich auf? Gerade als sie Rabenschweif wecken wollte, begann diese sich zu regen. Erfreut schubste Fuchspfote ihre Freundin auf die Pfoten. „Steh auf Rabenschweif! Ich will jagen gehen!“ rief sie, von einer plötzlichen Welle des Übermuts gepackt. Leichtfüßig sprang sie zu Boden und vergaß ihre Sorgen fürs erste. Aus den Augenwinkeln sah sie Rabenschweif, die träge hinter ihr her trottete und sich dabei verschlafen das zerzauste schwarze Fell glättete. Da kam Fuchspfote plötzlich eine Idee. Sie beugte sich über den leise rauschenden Fluss und tat so als hätte sie einen Fisch entdeckt. Blitzschnell hieb sie mit Pfote ins Wasser, aber sie holte nicht etwa einen Fisch heraus, sondern spritze ihre Mentorin von oben bis unten nass. Rabenschweif zuckte überrascht zusammen und ihre nun wachen Augen glitzerten schelmisch. Dann sprang sie Fuchspfote, die nicht mit einem Angriff gerechnet hatte, ohne Vorwarnung und mit voller Wucht in die Seite, sodass die Schülerin in den Fluss geschleudert wurde. Wasser schlug über ihr zusammen, doch sie hatte schnell ihr Gleichgewicht wiedergefunden. Prustend kam sie an die Oberfläche und hielt sich mit kräftigen Tritten über Wasser. Ohne zu zögern sprang Rabenschweif ihr hinterher. Mit ruhigen Zügen schwammen die beiden Katzen ein gutes Stück flussaufwärts, bis die schwarze Kriegerin Fuchspfote mit einem Kopfnicken bedeutete, an Land zu gehen. „Was ist los“ wollte sie wissen, „Warum halten wir?“ „Wir sollten jagen gehen und unsere Pfoten versorgen bevor wir weitergehen.“ antwortete Rabenschweif, während sie sich ans Ufer zog. Jetzt erst fiel Fuchspfote auf, wie hungrig sie war und sie schüttelte sich eilig das Wasser aus dem Pelz. „Ich schlage vor wir teilen uns auf: Du suchst hier in der Nähe nach frischen Heilkräutern. Schau ob, du Ampfer oder Schafsgabe findest.  Ich werde uns Frischbeute besorgen. Wir treffen uns aller spätestens kurz vor Sonnenuntergang wieder hier an diesem Farngebüsch, in Ordnung?“ miaute Rabenschweif. Fuchspfote nickte zustimmend und rief sich den Geruch von Ampfer und Schafsgabe in Erinnerung. „Bis später!“ rief sie noch über die Schulter, bevor sie herumwirbelte, sich unter einem Farnbusch durchschob und in Richtung eines schmalen Waldstreifens rannte. Sie ließ ihren Blick über den taufeuchten Boden streifen, konnte aber nichts entdecken. Immer weiter entfernte sie sich von dem Treffpunkt, an dem sie sich von Rabenschweif verabschiedet hatte. Die Umgebung war ihr fremd, aber sie verließ sich auf ihren Geruchssinn und brachte in regelmäßigen Abständen Markierungen an, um den Weg später zurückzufinden. Plötzlich hörte sie hinter sich ein lautes Knacken. Zu laut für ein Beutetier! Ruckartig blieb Fuchspfote stehen. Was war das? Vorsichtig schaute sie sich um. Sie erstarrte. Hatte sich da etwas bewegt? Das bildest du dir ein, Fuchspfote! Da ist nichts. Kaum ist Rabenschweif nicht da, machst du dir bei jedem kleinen Geräusch in den Pelz, du Feigling! schalt sie sich. Sie atmete einmal tief ein und aus und wollte gerade weitergehen, als ihr ein stechender Geruch in die Nase zog. Sie hatte noch nie zu vor so etwas Ekliges gerochen, das war ja schlimmer als SchattenClan! Ihre Neugier war schließlich stärker als ihre Angst. Vorsichtig kroch sie auf das Farngestrüpp zu, von dem sie meinte, dass es sich vorhin bewegt hätte. Plötzlich hörte sie ein lautes Tappen. Gestrüpp krachte und schwere Schritte schlugen auf den Waldboden ein. Fuchspfote wusste, dass sie hätte wegrennen sollen, doch sie war unfähig sich zu rühren. Stattdessen stand sie da, mit laut klopfendem Herzen und schrecklich verräterischem Angstgeruch. Und auf einmal brach ein gewaltiges, schwarz-weißes Ungeheuer vor ihr aus dem Gebüsch. Als es die junge Katze erblickte, brüllte es entsetzlich und hieb mit seinen mächtigen Pranken durch die Luft. Kalte Angst durchzuckte Fuchspfote, traf sie wie ein Blitzschlag, und sie rannte los! Panisch suchte sie nach einem Fluchtweg. Ihre Pfoten hämmerten auf den staubigen Waldboden. Blindlings sprang sie über Steine, Zweige und Äste. Sie rannte um ihr Leben, das Monster dicht auf den Fersen. Auf einmal fiel ihr eine Geschichte ein, die die Ältesten ihr immer erzählt hatten, als sie noch ein Junges gewesen war: …und so sehr das Junge auch rannte, es konnte dem bösen Dachs nicht entkommen. Dachse sind zu schnell, als dass eine Katze lange vor ihnen weglaufen könnte. Die Stimmen der Ältesten hallten in Fuchspfotes Kopf nach. Ein Dachs! Das war ein Dachs! Und es gab kein Entkommen! Aber Fuchspfote würde nicht kampflos aufgeben. Ich bin eine ClanKatze! Ich kann das schaffen! sprach sie sich Mut zu. Sie hörte den Dachs hinter sich brüllen. SternenClan steh mir bei! flehte sie stumm, dann wirbelte sie herum und stellte sich dem Ungeheuer.  

 

Ein Schrei, der Rabenschweif furchtbar vertraut vorkam, hallte durch den Wald. Fuchspfote! Rabenschweifs Pfoten flogen über den Boden unter ihr. Sie lief schneller als je zuvor in ihrem Leben. Schreckliche Bilder breiteten sich in ihrem Kopf aus und sie musste all ihre Sinne darauf konzentrieren, die Duftspur der Schülerin nicht zu verlieren. Warum habe ich sie nur alleine losziehen lassen?! Wenn ihr etwas zustößt, wenn sie… Rabenschweif schüttelte heftig den Kopf, um diese finsteren Gedanken loszuwerden.

In einiger Entfernung konnte sie nun Kampflärm hören. Ein Ohrenbetäubendes Brüllen erklang. Knacken und hastige Pfotenschritte und ein Reißen, wie von Krallen durch Fell. Rabenschweif brach durch das Gebüsch und fand sich auf einer langen Lichtung wieder. Und das, was sich viele Fuchslängen von ihr entfernt abspielte, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren: am Ende der Lichtung lag Fuchspfote, sie blutete an der Schulter, schien aber auf den ersten Blick nicht weiter verletzt, doch vor der Schülerin hatte sich ein gewaltiger Dachs aufgebaut, bereit zum Zuschlagen. Rabenschweif rannte los. Sie nahm all ihre Kraft zusammen und lief so schnell sie konnte. SternenClan hilf! flehte sie stumm, doch sie wusste, dass sie zu spät kam. Sie war zu weit weg, das Monster holte schon zum Schlag aus und sie war noch einige Schwanzlängen entfernt!

Auf einmal schien sich alles in Zeitlupe zu bewegen. Der Dachs beugte sich nach vorn, es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis er seine gewaltige Pranke auf die Schülerin vor ihm niedersausen ließ. Fuchspfote, mit vor Schreck geweiteten Augen, versuchte langsam nach hinten zu robben, wobei sie jedoch von ihrer verletzten Schulter behindert wurde.

Doch in diesem Moment schoss plötzlich etwas Goldfarbenes aus dem Unterholz, warf sich mit voller Wucht auf den Dachs und schleuderte ihn zur Seite.

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