Kapitel 1

Jedes einzelne Haar in Rabenpfotes Fell kribbelte vor Aufregung, als die junge Kätzin hörte wie Leopardenstern den Clan zusammenrief. Eine Woge von Stolz erfüllte sie und mit erhobenem Schwanz trat sie vor. Erwartungsvoll sahen die anderen Katzen zu ihrer Anführerin auf, die nun mit klarer Stimme zu sprechen begann: „Ich, Leopardenstern Anführerin des FlussClans, rufe meine Kriegervorfahren an und bitte sie auf diese Schülerin herabzuschauen. Sie hat hart trainiert um eure edlen Gesetze zu erlernen, und ich empfehle sie euch als Kriegerin. Rabenpfote, versprichst du, das Gesetzt der Krieger zu achten, deinen Clan zu schützen und zu verteidigen, selbst wenn es dein Leben kostet?“                              

Mit fester Stimme antwortete Rabenpfote: „Ich verspreche es.“                                       

„Dann gebe ich dir mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen. Rabenpfote, von heute an wirst du Rabenschweif heißen. Der SternenClan ehrt deinen Mut und wir heißen dich als vollwertige Kriegerin im FlussClan willkommen.“ Rabenschweifs Augen leuchteten vor Freude, als Leopardensternmit der Schnauze ihren Kopf berührte und sie leckte ihr respektvoll die Schulter, bevor sie sich umdrehte und an die Seite ihrer besten Freundin Maulbeerpfote sprang, die sie mit ihrem neuen Namen begrüßte: „Rabenschweif! Rabenschweif!“ Nun stimmten die anderen Katzen mit ein und drängten sich um die frischgebackene Kriegerin um ihr zu gratulieren. Auch die Schülerin Fischpfote lief auf sie zu und strich ihr freundschaftlich mit der Schwanzspitze übers Fell. „Ich werde dich im Schülerbau vermissen.“ murmelte sie. Rabenschweif schnurrte belustigt. „Dann streng dich an und du wirst schneller zum Krieger ernannt, als du Maus sagen kannst!“ Sie stupste ihrer Freundin kurz in die Seite, bevor diese kehrtmachte und in ihrem Bau verschwand. Allmählich zogen sich auch die anderen zurück und Rabenschweif begann ihre Nachtwache. Sie legte den Schwanz um die Pfoten und schaute zu den funkelnden Sternen des  Silbervlieses, die  stumm auf sie herabblickten. Dabei dachte sie an den SternenClan und wünschte sich, ihre Mutter wäre bei ihnen um sie zu beschützen. Leopardenstern hatte ihr schon früh erzählt, dass ihre Mutter eine Einzelläuferin gewesen sei und sie im Tod zu den Clan-Katzen gebracht hatte um Rabenschweif zu retten. Über ihren Vater hatte nie etwas gewusst. Sie wusste nicht einmal ob er überhaupt noch lebte. Manchmal machte es sie traurig, ihre Eltern nicht gekannt zu haben, wenn sie sah, wie glücklich die Königinnen wirkten, wenn sie ihren Jungen liebevoll das Fell pflegten und ihnen beim Spielen zusahen. Sie selbst hatte im Clan keine Familie und sie beneidete ihre Kameraden um dieses, ihnen so selbstverständliche Glück. Sie ließ den Blick durch das Lager schweifen, das ihr im Laufe der Zeit so vertraut geworden war. Mit jeder Faser ihres Körpers konnte sie die schlafenden Katzen um sich herum spüren und sie war für einen Moment überwältigt von der Intensität dieses Gefühls. Viele Monde lang lebte sie nun schon hier und dennoch brauchte sie einige Herzschläge, bis sie verstand, dass der ganze FlussClan, der Wald und der SternenClan ihre Familie geworden war. Hier war sie aufgewachsen und diese Katzen hatten ihr ermöglicht, ein freies und glückliches Leben zu führen.

Rabenschweif schnurrte leise. Dann blickte sie wieder zum Himmel auf und beobachtete wie eine einzelne kleine Wolke über ihr dahin zog. Das Mondlicht hüllte sie in einen silbernen Glanz, der ihr ein geheimnisvolles Aussehen verlieh.

So in Gedanken versunken, saß Rabenschweif da, als plötzlich einer der Sterne langsam größer zu  werden schien. Angestrengt kniff sie die Augen zusammen, es sah tatsächlich so aus als ob einer der Sterne herunterfiele. Vor Schreck war sie wie versteinert, unfähig sich zu rühren, als der leuchtende Fleck sich immer schneller auf sie zubewegte. 

Großer SternenClan steh mir bei

Das Licht war nun so hell, dass sie nichts mehr richtig erkennen konnte und zum Erstaunen der jungen Kriegerin trat eine fremde Katze aus dem strahlenden Schein und berührte liebevoll Rabenschweifs Nase mit ihrer eigenen. Ihr Duft kam ihr seltsam vertraut vor, obwohl sie sich sicher war, dass es keine Clan-Katze war. Das schöne schildpattfarbene Fell der Fremden glitzerte silbern im Sternenlicht.

Das muss eine SternenClan-Katze sein! dachte Rabenschweif und neiget ehrerbietig den Kopf.

„Hallo Rabenschweif!“ miaute die Kätzin, „Erinnerst du dich an mich? Ich bin Blitz.“

Beim Klang dieses Namens brach eine Welle aus Erinnerungen über sie herein:

Sie sah sich selbst, als hilfloses Junges. Ihr Name war Rabe gewesen…

Sie hatte Mutter und Vater gehabt, nichts gekannt außer einer warmen, behüteten Kinderstube. Und dann… ein fremdes Ungeheuer, das panische Kreischen ihrer Mutter. Eine schreckliche Stille…

Ruckartig blickte Rabenschweif auf. Die fremde Katze war ihre Mutter! Am liebsten hätte sie sie mit Fragen bombardiert, aber Blitz legte ihr warnend die Schwanzspitze aufs Maul.

„Schsch.“ murmelte sie. „Deine Nachtwache ist noch nicht vorüber! Es ist wahr, du bist mein Junges. Und ich verspreche dir, ich werde zurückkehren und dich in deinen Träumen besuchen.“ Noch einmal presste sie ihr Gesicht an Rabenschweifs Fell, bevor sie sich voneinander lösten. „Ich bin so stolz auf dich.“ Flüsterte sie. Dann verblasste ihre Gestalt und zurück blieb die aufgewühlte junge Kriegerin, der Blitz süßer Duft immer noch in der Nase hing.

 

Erleichtert beobachtete Rabenschweif, wie die ersten Krieger aus ihrem Bau auftauchten. Sie fühlte sich, als hätte sie Monde lang nicht geschlafen und streckte erschöpft die steifen Glieder. Nebelfuß, eine dunkelgraue Kätzin mit klaren blauen Augen, und zweite Anführerin des FlussClans, tat auf sie zu. „Deine Nachtwache ist zu Ende. Geh jetzt und ruh dich aus.“ Dankbar blinzelte Rabenschweif sie an und trottete Richtung Kriegerbau. Ihr ganzer Körper schmerzte von der durchwachten Nacht und sie musste wieder an ihre Mutter denken.

So viele Fragen schwirrten ihr durch den Kopf. Warum war sie zu ihr gekommen? Und was war mit ihrem Vater?

Aber schließlich gewann ihre Müdigkeit die Oberhand und Rabenschweif suchte sich zwischen den anderen Katzen eine freie Stelle neben Schwalbenschweif, ihrer alten Mentorin. Kaum hatte sie die Augen geschlossen, war sie auch schon eingeschlafen.

Wieder war da dieser vertraute Duft und sie hörte Blitz‘ ruhige Stimme: „Ich passe auf dich auf!“…

 

Als Rabenschweif aufwachte, glaubte sie, immer noch den süßen Geruch ihrer Mutter wahrnehmen zu können. Sie gähnte herzhaft und schüttelte sich Moosfetzen aus dem Fell. Der Bau der Krieger war leer und im Lager war nicht viel los. Ihre Nase verriet ihr, dass eine Jagdpatrouille Richtung Fluss unterwegs war .                                                      

Rabenschweif beschloss, die freie Zeit zu nutzen, um Maulbeerpfote zu besuchen. Die kleine Kätzin war die Schülerin von Mottenflügel, der Heilerin des Clans. Bei ihr lernte sie alles über Heilkräuter und deren Anwendung bei der Versorgung kranker Katzen.

„Hallo Maulbeerpfote!“ rief Rabenschweif. „Bist du da?“

„Rabenschweif!“ antwortete Maulbeerpfote freudig und streckte den Kopf aus dem Bau, ein frisches Bündel Katzenminze zwischen den Zähnen. Sie verschwand und kroch kurz darauf ohne die Kräuter nach draußen. „Was gibt’s?“ miaute sie.

„Ich wollte dich etwas fragen“ begann die schwarze Kriegerin. „Glaubst du, dass alle verstorbenen Katzen zum SternenClan gehen? Abgesehen einmal von Hauskätzchen.“

Verwundert sah Maulbeerpfote sie an. „Nein. Ich bin noch nie auf fremde Gerüche im SternenClan gestoßen. Aber Einzelläufer haben sicher ihre eigenen Jagdgebiete zwischen den Sternen. Und denk nur an die alten Geschichten von der großen Reise, auch der Stamm des eilenden Wassers gibt sich mit seinen Kriegerahnen die Zungen.“ Sie machte eine Pause und musterte Rabenschweif aufmerksam. „Warum interessiert dich das so sehr?“ fragte sie.

„Ach, nur so.“ antwortete Rabenschweif  und leckte sich verlegen die Pfoten. Sie spürte den Prüfenden Blick ihrer Freundin auf sich ruhen und war ihr dankbar, dass sie nicht weiter nachfragte.

„Maulbeerpfote!“ hörten sie plötzlich die Stimme von Mottenflügel.“ Bring den Ältesten ein paar Mohnsamen!“ Die Schülerin warf Rabenschweif einen entschuldigenden Blick zu und verschwand  im Heilerbau.

Als Rabenschweif sich abwandte, fiel ihr Blick auf den Frischbeutehaufen und ihr wurde klar, dass sie seit der Nachtwache nichts mehr gegessen hatte. Also verließ sie das Lager und folgte den gewohnten Pfaden zum Fluss, der in der frühen Blattgrüne immer viel Beute mit sich führte. Schon von weitem sah sie das Wasser in der strahlenden Sonne funkeln. Auf sanften Pfoten schlich sie näher und beugte sich über die Oberfläche. Ihr Bild spiegelte sich darin und einen Moment lang sah sie das Bild ihrer Mutter, etwas größer als sie selbst mit leuchtend grünen Augen. Ungläubig blinzelte sie und blickte hinab in ihr eigenes Gesicht.

 

Als sie ins Lager zurückkehrte, baumelten zwei fette Fische aus ihrem Maul. Einen davon legte sie auf den Frischbeutehaufen, den anderen trug sie zu Schwalbenschweif und Feldzahn hinüber um ihn zu verspeisen. Sie war immer noch ein bisschen müde und freute sich schon auf ihr Moosbett im Bau der Krieger, in der Hoffnung, Blitz wiederzusehen. Sie wollte sie unbedingt nach ihrem Vater fragen.

„Rabenschweif!“ Die verärgerte Stimme ihrer früheren Mentorin riss sie aus den Gedanken. „Entschuldige, Schwalbenschweif, was hast du gesagt?“ verlegen schaute sie zu ihr auf.

„Ich habe dich gefragt, ob Nebelfuß dich auch für die Abendpatrouille eingeteilt hat!“ Ein besorgter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht.

„Nein, bis jetzt noch nicht.“ antwortete Rabenschweif. Wie gerufen trat in diesem Moment Nebelfuß auf die Lichtung und kam auf sie zu. „Rabenschweif, du wirst mit Schwalbenschweif, Kieselbach und Fischpfote auf Patrouille gehen. Schwarzkralle führt euch an.“ „In Ordnung Nebelfuß.“ erwiderte Rabenschweif und neigte respektvoll den Kopf.

Nur wenig später hörte sie Schwarzkralle die Patrouille zusammenrufen. Die vier Katzen versammelten sich um ihn. Er sprang los und Rabenschweif und Fischpfote folgten ihm Seite an Seite. Es tat gut, mit den anderen über das Moorland zu preschen.

Ihre Pfoten flogen über den Boden und drosselten ihr Tempo erst, als sie den kleinen Donnerweg erreichten, der die Grenze zum SchattenClan-Territorium markierte, um die Markierungen zu erneuern. „Keine Grenzübertritte vom SchattenClan.“ sagte Kieselbach zufrieden. „Klug von ihnen.“ knurrte Schwarzkralle. Sie liefen am See entlang bis zur WindClan-Grenze am Pferdeort. „Auch der WindClan hält sich an die Grenzen.“ berichtete Fischpfote. Schwarzkralle nickte knapp. „Dann werden wir jetzt ins Lager zurückkehren.“ Er schnippte mit dem Schwanz und sprang los, Rabenschweif und ihre Clankameraden jagten hinter ihm her.

Als sie das Lager erreichten, ging Schwarzkralle zu Leopardenstern, um Bericht zu erstatten, während sich die anderen Mitglieder seiner Patrouille in ihren Bau zurückzogen. Rabenschweif schob mit der Pfote ein bisschen Moos zusammen und ringelte den Schwanz um die Pfoten. Schon bald sank sie in tiefen Schlaf und fand sich auf der kleinen Insel inmitten des Sees wieder, wo sich sonst bei Vollmond die vier Clans zur großen Versammlung trafen. Am Fuße des Baumes der Anführer, wo normalerweise die zweiten Anführer saßen, traf sie auf ihre Mutter. Ihr schildpattfarbener Pelz schimmerte hell. Blitz sah Rabenschweif stolz entgegen und lief auf sie zu, so leichtfüßig, als würde sie schweben. Die Kätzin begrüßte ihre Tochter Nase an Nase. Rabenschweifs Pelz kribbelte vor Freude und sie stellte die erste Frage, die ihr in den Sinn kam: „Blitz, was ist mit meinem Vater? Lebt er noch?“ Mutlosigkeit erfasste sie, als sie die tiefe Traurigkeit in den grünen Augen ihrer Mutter sah. Rabenschweif wusste es, noch bevor sie es aussprach: „Er war tapfer und so mutig. Er starb bei einem Fuchsangriff, um dich zu beschützen.“ Ihr Herz zog sich bei diesen Worten zusammen. Aus irgendeinem Grund hatte sie immer angenommen, ihr Vater wäre weggegangen oder an einer Krankheit gestorben. Nie war ihr in den Sinn gekommen, dass er sein Leben für sie geopfert hatte! Sie fühlte sich stolz und zugleich schmerzte der Verlust.

Plötzlich wurde Blitz von Sternenlicht umhüllt. Ihr ganzer Körper strahlte heller und heller, bis sie sich schließlich langsam darin auflöste.

„Mama!“ rief Rabenschweif, „Lass mich nicht wieder allein!“

Doch Blitz war verschwunden, einzig ihre Stimme wehte durch die Nacht, nicht mehr als ein leichter Hauch: „Du wirst nie mehr alleine sein, Rabe.“

Kommentare

Cool
Kein Problem ;)
Freut mich dass das gut ankommt mit den Texten hier
Einfach toll!Ich mag es schriftlich mehr  nichts gegen euch